200 Jahre Wilhelmsdorf
Die Gemeinde hat ihren 200. Geburtstag würdig begangen. Rund 600 Besucher kamen zum Gottesdienst und Festakt in die Rotachhalle, sogar aus dem fernen Ohio.
Es ist am Sonntag ein gelungener Auftakt zum Jubiläumsjahr „200 Jahre Wilhelmsdorf“ gewesen. Genau am 7. Januar 1824 kamen die ersten zehn Siedler in Esenhausen an, um in der Folge das Lengenweiler Moosried urbar zu machen und eine pietistische Siedlung im katholischen Oberschwaben zu gründen. Mehr als 600 Bürgerinnen und Bürger sowie Gäste aus dem ganzen Land bis hin zum fernen Ohio versammelten sich in der Riedhalle, um sich an die Gründungsgeschichte des Dorfes zu erinnern, das aus kleinsten und ärmlichsten Anfängen heraus heute als Gemeinde Wilhelmsdorf mit rund 5000 Einwohnern auf eine ganz besondere Geschichte zurückblicken kann.
Dass sich große Teile der Inhalte von Gastbeiträgen mit der abwechslungsreichen Geschichte der Brüdergemeinde und des Ortes Wilhelmsdorf beschäftigten, ist der Historie geschuldet. Eine ausführliche Darstellung des Werdegangs dieser Gemeinde am Ried veröffentlichte „schwäbische.de“ am 4. Januar. Es gab aber auch sehr aktuelle Bezüge zur Jetztzeit.
Beispielhaft auch für andere kirchliche Gemeinwesen
Im Festgottesdienst würdigte der Bischof der Evangelischen Landeskirche Ernst-Wilhelm Gohl in seiner Predigt, dass in Wilhelmsdorf mit der Brüdergemeinde als freie Kirchengemeinde eine beispielhafte Gemeinschaft gemeinsam mit der Landeskirche Tradition hat. Ein gewählter Pfarrer der Brüdergemeinde vertritt gleichzeitig die Interessen der Mitglieder der Landeskirche. Dies könne angesichts der strukturell anstehenden Veränderungen im Kirchenwesen beispielhaft auch für andere kirchliche Gemeinwesen im Lande sein.
Dass Wilhelmsdorf seit seiner Gründung nie finanziell auf Rosen gebettet war, blieb nach den Worten von Sozialminister Manne Lucha auch dem Land nicht verborgen. Er zählte deshalb auf, bei welchen Projekten in der Vergangenheit die Gemeinde hohe finanzielle Zuwendungen erhielt. Dazu gehörten Zuschüsse vom Land und Bund zur Riedhalle, in der die Feier zum Gemeindejubiläum stattfand, ebenso wie Hilfen für die verschiedenen Schulprojekte im Bildungszentrum. Und auch bei dem derzeit entstehenden Schulneubau, bei dem über elf Millionen Euro für Gymnasium und Realschule zu schultern sind, werde sich das Land beteiligen. „Noch ist die genaue Aufteilung zwischen Land und Gemeinde strittig. Ich bin aber gewiss, dass auch hier eine gütliche Lösung gefunden werden kann“, stellte Lucha in den Raum.
Wilhelmsdorf beschreitet den Weg der Inklusionsgemeinde
Lucha hob hervor, dass nicht zuletzt auch das Sozialunternehmen die Zieglerschen großzügig Hilfe für nötige Infrastrukturmaßnahmen erhalte, die auch der Gemeinde zugutekommen werden.
Mehr als 3,2 Millionen Euro investieren wir in den Ersatzneubau der Werkstatt für Menschen mit Behinderung und des Förder- und Betreuungsbereichs.
Manne Lucha
Diese Investitionen seien ein weiteres Zeichen dafür, dass Wilhelmsdorf den Weg der Inklusionsgemeinde, in der alle Menschen mit und ohne Behinderungen ihren Platz finden, konsequent weiter beschreitet.
Schon immer eng verbunden mit der Geschichte von Wilhelmsdorf ist der Historiker Eberhard Fritz, der über viele Jahre hinweg das unschätzbar umfangreiche Archiv des Hauses Württemberg in Altshausen betreute. Erstmals als Ruheständler warf er einen Blick zurück bis hin in die Gegenwart dieser Gemeinde. Sein Fazit zum Schluss der einfühlsamen geschichtlichen Würdigung:
Aus der Siedlung im Sumpf ist bis heute noch keine Stadt auf dem Berg, aber doch noch etwas Rechtes geworden.
Eberhard Fritz
Die dunkleren Stunden der Geschichte
Angesprochen wurden beim Festakt aber auch dunklere Stunden in der Geschichte. Dazu gehörten etwa die Deportationen von Menschen mit Behinderungen, die im Nationalsozialismus verschleppt wurden und in Konzentrationslagern ihr Leben verloren. Durch das mutige Handeln von Verantwortlichen in den Einrichtungen, in denen behinderte Menschen lebten, konnten aber auch viele Leben gerettet werden. Bei der abschließenden Frage- und Antwortrunde „Blitzlichter aus Wilhelmsdorf“ kamen mit Wilhelmsdorf eng verbundene Menschen zu Wort. Unter der Moderation von Stefan Wieland, Leiter des Kommunikationsbereichs der Zieglerschen, gab es intensive Einblicke in das, was für die Menschen aus vielen Bereichen der Gemeinde wichtig ist.
Ein Beispiel gab Christoph Lutz, Bereichsleiter Jugendhilfe in der Jugendhilfeeinrichtung Hoffmannhaus. Auf Nachfrage ging er offen auf die Vorkommnisse ein, die in früheren Jahren Kindern und Jugendlichen aus dem Heim widerfahren waren. Nie mehr dürften seelische, körperliche oder sexuelle Gewalt den Schutzbefohlenen gegenüber vorkommen. Das würdigte schon zuvor Sozialminister Lucha: „In diesem Bereich konnten sich das Hoffmannhaus und die Diakonie in Korntal zu einer Aufarbeitung der Vorgänge durchringen.“ Ein Mahnmal erinnert neben dem Saalplatz am Hoffmannhaus auf die Geschehnisse.
Zahlreiche Ehrengäste
Dass dieses Gemeindejubiläum im Vergleich zu anderen Orten in der Umgebung, die auf eine teilweise mehr als 1000-jährige Geschichte zurückblicken können, trotzdem einen hohen Stellenwert einnimmt, zeigt allein die Anzahl von Ehrengästen, die Bürgermeisterin Sandra Flucht begrüßen durfte. Wilhelm Herzog von Württemberg, Chef des Hauses Württemberg, dessen Vorfahr König Wilhelm der I. die Siedlung auf seinem Privatgrund erst ermöglichte, saß gemeinsam mit allen Abgeordneten von CDU, SPD, Grünen und FDP des Wahlkreises Ravensburg von Bund und Land in der ersten Reihe. Dazu gesellten sich Sozialminister Manne Lucha und Landrat Harald Sievers.
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